Der Allgemeine Gehörlosenverein Kassel hat am 20. Juni 2017 zu einer Podiumsdiskussion zum Bundesteilhabegesetz (BTHG) besonders für Gehörlose eingeladen.

Für die Vorträge kamen Prof. Dr. Felix Welti (Sozial- und Gesundheitsrecht; Uni Kassel), Helmut Vogel (Präsident des Deutschen Gehörlosenbundes) und PD Dr. Andreas Weber (Forschungsschwerpunkt Teilhabe u.a., Uni Halle-Wittenberg).

Vortrag Prof. Welti (links)In seinem Vortrag beschrieb Prof. Dr. Welti die Entwicklung der Sozialgesetze (SGB) seit 2001 und blickte auf die noch kommenden Veränderungen der Jahre 2018 und 2020. Damit konnte er zeigen, welche Paragraphen sich deutlich wandeln und welche Auswirkungen dies auf die Praxis haben wird. So wurde schon frühzeitig in den Beratungen Abstand von dem „Teilhabegeld“ genommen; eine klare Fristenregelung wird zu deutlich schnelleren Entscheidungen führen, welcher Leistungsträger zuständig ist; im Blick auf die Leistungen zur Sozialen Teilhabe SGB IX § 76.1 (ab 01.01.2018), der nicht unumstrittene Begriff „Sozialraum“ (Wie sieht aus und welche Bedeutung und Umfang); umfangreich auch die Neuordnung der Eingliederungshilfe, für die sich ab 2020 eigene Sozialleistungsträger finden lassen müssen (für Hessen: LWV?, Kommunen?, Landkreise?). Deutlich auch hier die umständliche (und unnötige) „5 aus 9“ – Regelung zur Definition von Behinderung (§ 99 SGB IX-neu ("5 von 9 Lebensbereiche")), aber auch die finanzielle Neuregelung zu Gunsten der Antragstellenden (weiteres, s. www.reha-recht.de)

Vortrag Helmut VogelNach einer kurzen Pause gab Helmut Vogel einige klare Stellungnahmen zum BTHG ab. Deutlich wird, dass in vielen Bereichen (u.a. „Sozialraum“) noch keine Klarheit besteht, wie die neuen Gesetze sich auf das tägliche Leben auswirken. Es bleibt weiter die Forderung, auch im alltäglichen Leben die Nachteile der Gehörlosigkeit auszugleichen. Dafür muss gekämpft werden, von untersten Ebenen bis auf die europäische Ebene, denn in vielen (privaten) Bereichen sind Gehörlose auch weiterhin darauf angewiesen, aus privater Tasche Dolmetschende zu bezahlen. Vermutlich ist hier nur über Gerichte eine eindeutige Regelung und Auslegung zu erreichen.

Prof. Welti unterstrich dies – ein Protest vor einem Gericht bringt nichts, wenn dem Gericht nicht klar ist, um welche Entscheidung es geht. Es ist wichtig, dass sich die Vereine und Verbände zusammenschließen, um gemeinsam gegen Benachteiligung zu kämpfen und eindeutige Rechte zu erwirken.

Vortrag BTHGIm dritten Vortrag zeigte Dr. Andreas Weber eine Forschung der FST (Forschungsstelle zur Rehabilitation von Menschen mit kommunikativer Behinderung) über die berufliche Integration schwerhöriger, ertaubter und gehörloser Menschen (Projekt GINKO http://ginko.fakten-zur-teilhabe.de). Auf der Internetseite wird in Text, DGS und LBG über die Befragung, Untersuchung und Ergebnisse berichtet – es zeigt sich, dass trotz gesetzlicher Klarheit in vielen Bereichen eine Umsetzung des Rechtsanspruches nicht völlig erfolgt.

Im Anschluss an die Vorträge erfolgte noch eine Aussprache und Diskussion zu einzelnen Themen.

Wir danken dem AGV Kassel und den vielen Fleißigen für die Ausrichtung der Podiumsdiskussion, Edeltraud Wareka und Guido Ise für die Moderation, Armin Ruda (Wissenschaftsforum der SPD Kassel) für die Organisation und Undine Schäfer und Stefanie Riedel für supergutes Dolmetschen.

Weitere Informationen und Bilder: https://www.agv-kassel.de/2017/07/03/bericht-zur-veranstaltung-bundesteilhabegesetz/